« Der künstlerische Gedanke hat immer Priorität »
So ist die Hommage überschrieben, die Nikolas Kerkenrath im Auftrag des ConBrio-Verlages für die September-Ausgaben 2010 der Fachblätter Neue Musikzeitung und Oper & Tanz geschrieben hat. Die französische Version (von Golnaz Houchidar) war im Programm der Opéra de Bordeaux abgedruckt, die im November 2010 Liebermanns Oper "Die Schule der Frauen" zur Aufführung brachte.
Die beste Dokumentation der Ära-Liebermann in Hamburg, 1959-1973
[…] Im Jahr 2010 wird – auf beiden Seiten des Rheins – großer Musiker gedacht: Frédéric Chopin, Robert Schumann, Gustav Mahler; auch eines Rolf Liebermann?
Da war doch mal was ... Auf der anderen Seite des Rheins denken wir immer wieder an diesen "Roi soleil" aus Hamburg. Das liegt auch am Enthusiasmus von Hugues Gall, seinem künstlerischen Ziehsohn, Nachfolger, Freund. Es ist somit ganz natürlich, mit ihm in einigen Städten Frankreichs im Herbst daran zu erinnern, dass vor über 30 Jahren das nur siebenjährige Regnum von Liebermann das Pariser und somit das französische Opernleben grundlegend verändert und nachhaltig geprägt hat.
Und dass davor – von 1959 bis 1973 – derselbe Kulturweltbürger aus der Schweiz die Hamburgische Staatsoper zum modernsten und mutigsten Opernhaus der Welt gemacht hat. Was das bedeutete, ist in Deutschland noch irgendwie präsent; aber in Frankreich schwer erklär- und nachvollziehbar. Um so beeindruckender war damals die Weitsicht von Staatspräsident Georges Pompidou und seinem Kulturminister Jacques Duhamel, diesen phantasievollen und energischen Profi von Hamburg nach Paris zu locken, um "la Grande Boutique" zu reformieren und zu leiten […]
Soweit der Anfang der Rolf-Liebermann-Ehrung, in deren Folge Kerkenrath den "Weltbürger aus der Schweiz" vorstellt, seine "Höhenflüge in Salzburg und Hamburg" sowie "Das Abenteuer Paris" schildert und "Die Kraft des Alterswerks" bewundert. Die Hommage endet mit einem Chapeau-bas:
Diskussion mit Rolf Liebermann auf der Bühne des Erholungshauses in Leverkusen, 1990
[…] Ab seinem 80. Geburtstag (in Paris aufwendig gefeiert unter Mitwirkung von Marek Janowski, Paul Sacher, Pierre Boulez) trafen wir uns häufiger; auch weil ich an meiner Wirkungsstätte in Leverkusen einige seiner Werke aufführen ließ.
Besonders über die deutsche Erstaufführung seines Violinkonzertes im Januar 1995 im Leverkusener Forum (Thomas Zehetmair, Bremer Kammer-
philharmonie / Jiri Belohlavek), von WDR 3 aufgezeichnet, war er sehr glücklich; und das Publikum auch.
Rolf Liebermann zum letzten Mal im Künstler-
zimmer, mit François-René Duchâble, im September 1997
Wie ein vorweggenommener Abschied von ihm wirkte das Saison-Eröffnungskonzert im September 1997, nur 15 Monate vor seinem Tod: François-René Duchâble und Dirk Joeres interpretierten Franz Schubert's Klavierfantasie, gefolgt von der Orchesterfassung dieses Werkes, welche Hugues Gall und Claude Samuel bei Rolf Liebermann in Auftrag gegeben hatten und deren Uraufführung in Paris dann James Conlon dirigierte. Der Westdeutschen Sinfonia gelang, sicher auch motiviert durch die Anwesenheit Liebermanns, eine berührende Wiedergabe einer seiner letzten Stücke. Ein CD-Mitschnitt hielt dieses denkwürdige Konzert fest.
Rolf Liebermann starb am 2. Januar 1999 in Paris. Die Gedenkfeiern im Palais Garnier und in der Hamburger Oper machten deutlich, was da einmal war !
Der Regisseur Adolf Dresen brachte es auf den Punkt : "Er war wohl der letzte ingeniöse Prinzipal in der Personalunion von Theaterdirektor und Künstler, Pragmatiker und Utopist".
Wer das Glück hatte, mit Rolf Liebermann zu arbeiten oder von ihm gefördert zu werden, der war nachhaltig geprägt und motiviert. Sein kompromissloser, prioritär künstlerischer Anspruch übertrug sich auf uns alle und war eine vorbildliche Orientierung für das jeweils eigene Wirken.
Liebermann's Schlusswort unseres Podiumsgespräches im September 1990 auf der Bühne des Bayer Erholungshauses sei auch hier der Abschluss meiner dankbaren Erinnerungen an diesen ganz Großen :
"Die soziale Marktwirtschaft kann sich auf Dauer nur dann rechtfertigen und halten, wenn sie ihren kulturellen Auftrag als ethische Aufgabe ernst nimmt".
Dieses *Zitat und sein *Photo – ein hinreißender Schnappschuss – zieren das Künstlerzimmer der Bayer Kulturabteilung und erinnern daran, dass Kunst und Kultur weder Selbstzweck noch Kommunikationsfutter sind, sondern eine über den Applaus hinausgehende Verpflichtung haben. Und mahnen, dass wir uns in Europa auch auf eine andere "Währung" besinnen sollten: auf die menschlich-künstlerische, auf die kulturelle.
Widmung von Rolf Liebermann auf seinem Foto : « Vergesst nicht, wofür ihr das macht! » *Foto und *Zitat wurden von Nikolas Kerkenrath's Nachfolger – abgehängt.